Über den Künstler

Die Darstellung der Frau und ihr Bildnis spielten in der Münchner Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine herausragende Rolle – der Malerfürst Franz von Lenbach fotografierte erst und malte dann die Damen der höheren Gesellschaft, Friedrich August von Kaulbach war ein gefragter Porträtist und Franz von Stuck schuf mit seiner „Sünde“ das Urbild der femme fatale. Erfolgreich als Porträtist der Münchner Gesellschaft war auch der bereits 1894 früh verstorbene Bruno Piglhein, der durch sein erst jüngst wieder aufgetauchtes, ehemals im Besitz des Industriemagnaten Friedrich Alfred Krupp befindliches Gemälde einer Ägyptischen Schwerttänzerin wieder einem breiteren Publikum bekannt wurde. Die Mischung aus Exotik und Erotik war erfolgreich, machte ihn für das Münchner Publikum auch als Maler von Bildnissen interessant, in denen sich gelegentlich die Grenzen zwischen Porträt und Genre vermischen.
Auf unserem Gemälde leuchtet vor dunklem Hintergrund, der kaum als Zimmer mit Relikten des Bildungsbürgertums erkennbar ist – oben rechts steht die Bronzestatuette eines nackten, antikischen Jünglings – eine Chaiselongue hervor, in deren aufgeschüttelten Kissen sich eine junge Dame in hoch geschlossenem Kleid schmiegt. Ist sie gerade von einer abendlichen Vergnügung zurückgekehrt und ruht sich jetzt auf Sofabett aus? Ihr Blick ist konzentriert, denn sie schaut auf einen erst auf den zweiten Blick sichtbaren Bogen Papier. Liest sie in einem Brief, der nichts Gutes verheißt? Ist es ein Abschiedsbrief ihres Liebhabers, mit dem sie zuvor noch unterwegs war? Wir wissen es nicht und müssen es auch nicht wissen, denn diese Unentschiedenheit, dieser Moment zwischen Erkennen und Zweifel macht den Reiz des Gemäldes aus.
Unabhängig von der Deutung des Gemäldes als Bildnis oder Genredarstellung ist es die malerische Brillanz, mit der Piglhein die Situation erfasst, die große malerischer Virtuosität und Delikatesse, die noch heute fasziniert. Mit welcher Leichtigkeit der Pinsel über die Bildoberfläche fliegt, wie sich die Gegenständlichkeit auflöst, wie sich verschiedene Materialitäten miteinander vermischen, all dies ist mit großer malerischer Verve geschildert. Die Grenzen der Ölmalerei scheinen aufgelöst – es wirkt fast wie ein luftiges Pastell –, eine Technik, in der Piglhein große Erfahrung besaß. Zu Beginn seiner Karriere, als sich der materielle Erfolg nicht einstellen wollte, hatte er sich auf das Malen von Pastellen verlegt, in denen er in der Manier Lenbachs Kinder und Damen porträtierte, nicht selten auch in gewagteren Posen. Es seien „Pastellbilder aus pikanter und leichtherziger Genusswelt“, wie ein Zeitgenosse in Piglheins Nachruf notierte – etwas von dieser schwelgerischen „Genusswelt“ mag man auch in unserem Gemälde erahnen. Tatsächlich ist es ein exzellentes Beispiel einer üppigen Salonmalerei, die sich damals auch in München größter Beliebtheit erfreute. Wie seine Münchner Malerkollegen Albert von Keller und auf andere Weise auch Hugo von Habermann, mit dem Piglhein 1880 zusammen mit Fritz von Uhde eine private Malschule eröffnet hatte, bediente er am Jahrhundertende ein Publikum, das das Bild der mondänen Frau zu schätzen wusste.

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